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PH SRK als Chance für Menschen ohne Berufsabschluss

Kurztext für die Fachtagung „PflegehelferInnen SRK stärken“ vom 02.09.2104

Damit Arbeitnehmende auf dem Arbeitsmarkt reüssieren, wird es immer wichtiger, dass sie über einen Abschluss verfügen, der in ihrem Berufsfeld anerkannt wird. Dies kann ein Berufsbildungs- oder Weiterbildungsabschluss sein.

Für Erwachsene, die einen Berufsabschluss nachholen wollen, sieht das Berufsbildungsgesetz, verschiedene Wege vor: eine reguläre berufliche Grundbildung, eine verkürzte berufliche Grundbildung, eine direkte Zulassung zum Qualifikationsverfahren und eine Validierung der Bildungsleistungen. Alle diese Wege sind für Erwachsene ohne Berufsabschluss an-spruchsvoll: inhaltlich, zeitlich, finanziell und organisatorisch. Für viele Betroffene stellt sich die Frage: Wie kann ich die Arbeit, die Bildung, das Familienleben und die Finanzierung unter einen Hut bringen?

Die Ausbildung zur Pflegehelferin SRK ist keine Ausbildung nach Berufsbildungsgesetz. Es ist ein Weiterbildungsabschluss, der aber im Gesundheitsbereich anerkannt und geschätzt wird. Für die Teilnehmenden an dieser Ausbildung ist insbesondere interessant, dass schon nach einer relativ kurzen Ausbildungsdauer (120 Theoriestunden, 12 Tage Praktikum) als Pflegehelferin gearbeitet werden kann. Auch die Kosten – in etwa CHF 2500.00 – sind überschaubar.

Aufgrund der kurzen Ausbildungsdauer ist es wichtig, dass Pflegehelferinnen einen regelmässigen Zugang zu internen und externen Weiterbildungen haben. Denn sie übernehmen Verpflichtungen in einem komplexen und sich entwickelnden Arbeitsfeld, ihre Arbeit ist existenziell herausfordernd, die Verantwortlichkeiten im Team sind streng geregelt und müssen ver-standen und eingehalten werden. Der Weiterbildungsabschluss PH SRK ist daher mit regelmässigen Weiterbildungen zu ergänzen. Dabei macht es Sinn, wenn die Bildungsanbieter ihre Angebote aus Qualitätsgründen und im Hinblick auf die Anrechnung von Bildungsleistungen an einen weitergehenden Abschluss koordinieren.

„Kein Abschluss ohne Anschluss!“ Dieser Grundsatz des schweizerischen Bildungssystems soll auch für den Weiterbildungsabschluss PH SRK gelten. Er soll für Interessierte die Tür öffnen zu einem Berufsbildungsabschluss wie etwa dem zur Assistentin Gesundheit, ein Be-rufsbildungsabschluss auf dem Niveau Berufsattest, der 2011 eingeführt wurde.
Der Gesundheitsbereich hat es in der Hand, ein interessantes Modell für den Berufseinstieg von Erwachsenen ohne Berufsabschluss zu entwickeln. Mit dem Weiterbildungsabschluss PH SRK existiert bereits ein niederschwelliger, schweizweit koordinierter Einstieg in eine anerkannte und nachgefragte Berufstätigkeit. Wenn es nun noch gelingt, ein koordiniertes Konzept zur Erlangung eines Berufsbildungsabschlusses zu etablieren, das die besonderen Bedürfnisse von Erwachsenen ernstnimmt, dann hat man viel erreicht. Und zwar sowohl für die Er-wachsenen ohne Berufsabschluss, die damit einen gangbaren Weg in eine interessante Tätigkeit mit Entwicklungsmöglichkeiten sehen wie auch für den Gesundheitsbereich selber, der vor allem in der Langzeitpflege und -betreuung angesichts der demografischen Entwicklung auf motivierte Arbeitnehmende auf verschiedenen Stufen angewiesen ist.

Sowohl das neue Weiterbildungsgesetz (Art. 7: Anrechnung von Bildungsleistungen an die formale Bildung) wie auch der Bericht des Bundes „Berufsabschluss und Berufswechsel für Erwachsene – Bestehende Angebote und Empfehlungen für die Weiterentwicklung“ motivieren die Branchenverbände, sich solche Konzeptüberlegungen auf nationaler Ebene zu machen.

Die berufsorientierte Weiterbildung gehört in den NQR-CH-BB

Auf den 1. Oktober 2014 soll die Verordnung über den NQR-CH-BB in Kraft treten. Das ist ein wichtiger Schritt für die Berufsbildung. Die Berufsbildungen in der Schweiz sollen mit Bildungen aus dem europäischen Raum vergleichbar werden. Nach meinem Wissen wird diese Einordnung der beruflichen Grundbildung und der höheren Berufsbildungen ermöglicht, nicht aber der berufsorientierten Weiterbildung. Aus meiner Sicht wird damit eine Chance verpasst.

Es ist daher auch der berufsorientierten Weiterbildung im NQR-CH-BB Raum zu geben. Ich schlage vor, dass folgende Formulierung in die Verordnung aufgenommen wird:
„Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation kann unter bestimmten Bedingungen berufsorientierte Weiterbildungen in den NQR-CH-BB aufnehmen.“
Diese Formulierung zeigt auf, dass die Aufnahme der berufsorientierten Weiterbildung in den NQR-CH-BB nur unter sehr engen Bedingungen möglich werden soll. Aber wenn sich im europäischen Kontext für eine Ausbildung ein Bedarf zeigt, so soll diese Möglichkeit zumindest bestehen. Die schweizerische Weiterbildung soll nicht schlechter gestellt sein als die ausländische.

Es gibt Situationen, wo ausländische Branchenverbände in Delegation des Staates ihre „Weiterbildungen“ als formale Angebote anbieten und dementsprechend im NQR ausweisen. Diese Möglichkeit der Delegation besteht in der Schweiz nicht. Entsprechend sollten wir in diesen Situationen Weiterbildungen (=nonformale Angebote) von schweizerischen Branchenverbänden mit „Weiterbildungen“ von ausländischen Branchenverbänden (=formale Angebote) über den NQR vergleichbar machen. Es wäre schade, wenn wir diese Chance des NQR nicht packen würden.

Es ist klar, dass diese Arbeit nicht die dringendste ist, sondern dass zuerst die Einstufungen der beruflichen Grundbildungen und der höheren Berufsbildungen vorgenommen werden müssen. Aber wenn wir die berufsorientierte Weiterbildung nicht jetzt in den NQR-CH-BB aufnehmen, dann fehlen in wichtigen Momenten die legalen Grundlagen, um tätig werden zu können. Mit der engen Formulierung des Verordnungstextes behält das Staatssekretariat die Führung, verschliesst aber zugleich nicht die Türen, um in sinnvollen Situationen zugunsten der Schweizerischen Berufsbildung und der Schweizerischen Berufsleute reagieren zu können.

Weiterbildungsabschlüsse sind Teil der Weiterbildungslandschaft

Die Diskussion um das Weiterbildungsgesetz hat auf parlamentarischer Ebene begonnen. Ein wichtiges Thema ist die Definition von „Weiterbildung“. Leider fehlen in der bundesrätlichen Definition die Weiterbildungsabschlüsse. Sie bilden allerdings einen wichtigen Teil der Bildungslandschaft. Travail.Suisse, der unabhängige Dachverband der Arbeitnehmenden, fordert daher, dass die Weiterbildungsabschlüsse ins Weiterbildungsgesetz aufgenommen werden.

Das in Diskussion stehende Weiterbildungsgesetz definiert Weiterbildung als nichtformale Bildung. Sie ist zusammen mit der formalen Bildung Teil der strukturierten Bildung. Die strukturierte Bildung und die informelle Bildung bilden miteinander das lebenslange Lernen (vgl. Bild).

Def WB

In dieser Definition, die als solche von Travail.Suisse akzeptiert wird, fehlt indes ein wichtiger Teil der Weiterbildungslandschaft. Während in der Definition der formalen Bildung die Bildungsabschlüsse erwähnt werden, fehlen diese bei der nichtformalen Bildung. Dabei gibt es auch im nichtformalen Bereich Abschlüsse. Zu erwähnen sind hier etwa die folgenden Weiterbildungsabschlüsse: SVEB-Zertifikat, Zertifikat Sachbearbeitung in den Berufen der Immobilienwirtschaft (Verbandszertifikat SVIT), Diplom Ranger des Bildungszentrum Wald Lyss oder Bibliothekar/in SAB[1].

Bedeutung der Weiterbildungsabschlüsse
Es wäre ein grober Fehler, wenn die Weiterbildungsabschlüsse nicht ins Weiterbildungsgesetz aufgenommen würden. Und zwar aus drei Gründen:

Erstens ermöglichen sie im nichtformalen Bildungsbereich standardisierte Abschlüsse, die in der Arbeitswelt eine wichtige Rolle spielen (können). Weiterbildungsabschlüsse verhelfen wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Kreisen ihren Bedürfnissen entsprechend Ausbildungen aufzubauen, anzubieten und selber zu kontrollieren.

Zweitens entlasten die Weiterbildungsabschlüsse das formale System, indem sie durch Modularisierung, Referenzrahmen oder standardisierte Abschlüsse einen Bildungsbereich ordnen, ohne dass der Staat eingreifen muss. Weiterbildungsabschlüsse sind eine wichtige Ergänzung zu den Abschlüssen der höheren Berufsbildung. Eine Aufwertung der Weiterbildungsabschlüsse durch Aufnahme ins Weiterbildungsgesetz ist sowohl für die Weiterbildung wie auch die höhere Berufsbildung hilfreich.

Drittens können die Weiterbildungsabschlüsse eine wichtige Rolle im Verfahren zur Anrechnung von Weiterbildung an die formale Bildung spielen. Da es standardisierte Abschlüsse sind, ist durch ihre Transparenz die Anrechnung an das formale System einfacher zu bewerkstelligen.

Ergänzung der Definition
Travail.Suisse schlägt vor, dass die Weiterbildungsabschlüsse ins Weiterbildungsgesetz aufgenommen werden. Der Artikel 3 soll um folgenden Nebensatz ergänzt werden:

Art 3. Begriffe
In diesem Gesetz bedeuten:
Weiterbildung (nicht-formale Bildung): strukturierte Bildung ausserhalb der formalen Bildung, die zu Weiterbildungsabschlüssen führen kann.

Zudem ist es sinnvoll, wenn im Weiterbildungsgesetz (z.B. im Artikel 7) erwähnt wird, dass Weiterbildungsabschlüsse unter bestimmten Bedingungen zum nationalen Qualifikationsrahmen referenziert werden können. Die Bedingungen sollen in der Verordnung zum Weiterbildungsgesetz festgeschrieben werden. Eine Referenzierung erlaubt, dass unterschiedliche Abschlüsse miteinander verglichen werden können und damit auch einen Wert in der Bildungslandschaft zugunsten der Teilnehmenden erhalten.

Art. 7 Anrechnung von Bildungsleistungen an die formale Bildung
3 Weiterbildungsabschlüsse können zum nationalen Qualifikationsrahmen referenziert werden. Die Bedingungen regelt die Verordnung.

Für die Stärkung der Weiterbildung drängt es sich auf, dass der Bund Organisationen der Weiterbildung darin unterstützen kann, Weiterbildungsabschlüsse aufzubauen. Der gegenwärtige Artikel 12 schliesst das in seiner Formulierung nicht aus. Eine bewusste Erwähnung der „Weiterbildungsabschlüsse“ zeigt aber auf, dass gerade für die Entwicklung der Weiterbildungslandschaft „Weiterbildungsabschlüsse“ sowohl im Hinblick auf die Transparenz wie auch im Hinblick auf die Qualität eine wichtige Rolle spielen können.

Art. 12 Finanzhilfen an Organisationen der Weiterbildung
1 Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) kann für Informations- und Koordinationsaufgaben, für die Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung sowie für die Entwicklung der Weiterbildung und den Aufbau von Weiterbildungsabschlüssen im Rahmen der bewilligten Kredite Finanzhilfen an Organisationen der Weiterbildung gewähren oder mit ihnen Leistungsvereinbarungen abschliessen.

Da Weiterbildungsabschlüsse sowohl ein Gewinn für den Staat, die Wirtschaft, die Gesellschaft und die einzelnen Personen darstellen, dürfen sie vom Weiterbildungsgesetz nicht übergangen, sondern müssen gezielt aufgenommen werden.

Bruno Weber-Gobet, Leiter Bildungspolitik Travail.Suisse (17.06.13)

 


[1] Weitere Weiterbildungsabschlüsse: Personalassistent/in mit Zertifikat, SFV-Zertifikat Leadership, Zertifikat «Sachbearbeiter/in Personalwesen», edupool.ch/KV Schweiz, DAS Evaluation (Uni Bern), «Zertifizierte/r Gutachter/in KEB» der unabhängigen Kommission Expertisen und Gutachten des Verbandes JardinSuisse, Zertifizierter Pharmaberater/In shqa (Verbandszertifikat), Verbandszertifikat «Bewegungspädagoge/-pädagogin BGB». Quelle: André Schläfli, SVEB. Vgl. auch Berufliche Ausbildung für Erwachsene, Schweizerischer Verband für Berufsberatung SVB, 2011, .

 

 

Das Weiterbildungsgesetz – Eine Bewertung aus Sicht von Travail.Suisse

Vortrag gehalten anlässlich der Fachkommissionsitzung Wissenschaft, Bildung und Kultur der SP Schweiz:
Dienstag, 11. Juni 2013, 18.15-19.45 Uhr, Bundeshaus, Zimmer 286.

Grundsätzliche Bemerkungen:
Dem vom Bundesrat vorgelegten Entwurf kann zugestimmt werden. Er enthält keine grundsätzlichen Fehler, die dazu zwingen würden, ihn abzulehnen. Allerdings ist in der parlamentarischen Arbeit daraufhin zu arbeiten, dass das Gesetz durch einige Anpassungen aufgewertet wird.

Definition von Weiterbildung Art. 3:
Mit der vorliegenden Definition des lebenslangen Lernens kann man leben.

  • Sie bringt Klarheit in die Begrifflichkeit. Allerdings nur, wenn sie sauber angewendet wird, was gerade bei Statistiken oft Probleme schafft.
  • Mit dieser Definition in Art. 3 lässt sich das Problem der Anrechnung von Bildungsleistungen an die formale Bildung darstellen (vgl. Art. 7)
  • Die Definition macht aber auch darauf aufmerksam, worüber das Weiterbildungsgesetz schweigt, nämlich über das Phänomen der Weiterbildungsabschlüsse. Sie existieren. Sie kommen aber in der Definition nicht vor.-

Das Weiterbildungsgesetz muss in Art. 3 die Weiterbildungsabschlüsse aufnehmen:

Art 3. Begriffe
In diesem Gesetz bedeuten:
1. Weiterbildung (nicht-formale Bildung): strukturierte Bildung ausserhalb der formalen Bildung, (neu) die zu Weiterbildungsabschlüssen führen kann.

Weiterbildungsabschlüsse (neu)
Weiterbildungsabschlüsse spielen in der Bildungslandschaft aus zwei Gründen eine wichtige Rolle:

Erstens ermöglichen sie im nichtformalen Bildungsbereich standardisierte Abschlüsse, die gerade im Verfahren zur Anrechnung von Weiterbildung an die formale Bildung wichtig sein können und auch auf dem Arbeitsmarkt ihren Wert haben.

Zweitens entlasten die Weiterbildungsabschlüsse das formale System, indem sie einen Bildungsbereich ordnen, ohne dass der Staat eingreifen muss (Modularisierung, Referenzrahmen, standardisierte Abschlüsse).

Gesetzlich wäre es sinnvoll, wenn in Artikel 12 erwähnt würde, dass der Bund Organisationen der Weiterbildung darin unterstützen kann, Weiterbildungsabschlüsse aufzubauen.

Zudem wäre es sinnvoll, wenn im Gesetz (z.B. im Artikel 7) erwähnt würde, dass Weiterbildungsabschlüsse unter bestimmten Bedingungen zum Nationalen Qualifikationsrahmen referenziert werden können.

Verantwortung Art. 5
Nach dem Weiterbildungsgesetz sollen die Arbeitgeber die Weiterbildung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter begünstigen. Diese Bestimmung wird gemäss dem erläuternden Bericht als Appell, nicht als Verpflichtung verstanden. Das heisst die Arbeitgeber, die diesem Appell nicht nachkommen, haben keine Konsequenzen zu fürchten. Die Bedeutung dieser Bestimmung liegt daher nahe bei Null. Das Weiterbildungsgesetz sollte daher eine Bestimmung aufnehmen, die Konsequenzen für die Arbeitgeber vorsieht, welche die Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden nicht begünstigen.

1 Der einzelne Mensch trägt für sich die Verantwortung, sich weiterzubilden.
2 Die öffentlichen und die privaten Arbeitgeber begünstigen die Weiterbildung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. (neu) Die Verordnung regelt die Sanktionsmöglichkeiten für die Nichtwahrnahme dieser Aufgabe.

Mit Sanktionen reagiert werden muss, wenn z.B. Betriebe nicht bereit sind, im Zusammenhang mit Projekten im Bereich der Grundkompetenzen zu kooperieren oder Angestellte erwerbslos werden. Beim Eintritt der Erwerbslosigkeit soll festgestellt werden, ob eine Person – rückblickend auf die letzten zehn Jahre – Weiterbildung erhalten hat oder nicht. Arbeitgeber, die nichts oder zu wenig unternommen haben, um ihre MitarbeiterInnen weiterzubilden, sollen bis zu maximal 66 Taggelder (drei Monate) der Arbeitslosenkasse übernehmen müssen.

Im Grundsatz soll gelten, dass Arbeitnehmende im Durchschnitt drei Tage Weiterbildung pro Jahr erhalten. Die Dauer der Weiterbildung wie auch die vermittelten Fähigkeiten und Kompetenzen werden in einer Bestätigung festgehalten.

Anrechnung von Bildungsleistungen an die formale Bildung Art. 7
Die Bildungsgesetzgebung sieht die Möglichkeit von Nachholbildungen, zum Beispiel durch Anerkennung von Bildungsleistungen, vor. Es ist aber heute nicht so ausgestaltet, dass Nachholbildungen bewusst gefördert werden. Der Arbeitsmarkt ist jedoch aufgrund der demografischen Entwicklung und des sich abzeichnenden Fachkräftemangels verstärkt auf Nachholbildungen angewiesen, insbesondere auf Nachholbildungen von Personen, die noch über keinen beruflichen Erstabschluss verfügen. Eine Studie von Travail.Suisse zeigt, dass in der Schweiz von den rund 600’000 Personen im erwerbsfähigen Alter ohne beruflichen Erstabschluss rund 52’000 Personen sich sehr eignen würden, eine Nachholbildung über die Anerkennung von Bildungsleistungen zu erreichen. Um dieses Potential auszunützen, schlägt Travail.Suisse eine gesetzliche Regelung im Weiterbildungsgesetz vor, und zwar eine Ergänzung im Artikel 7:

«Art. 7 Anrechnung von Bildungsleistungen an die formale Bildung
1 Bund und Kantone sorgen mit ihrer Gesetzgebung für transparente und möglichst gleichwertige Verfahren zur Anrechenbarkeit von Weiterbildung und informeller Bildung an die formale Bildung.
3 (neu) Sie ergreifen zusammen mit den Organisationen der Arbeitswelt Massnahmen, die erwerbstätige Personen ohne berufliche Grundbildung auf die anderen Qualifikationsverfahren (Nachholbildung) vorbereiten.»

Es wäre schade, wenn diese Chance nicht gepackt und das Potential an Nachholbildungen nicht genützt würde. Denn die Alternative zu mehr Nachholbildungen sind erstens mehr Migration und zweitens höhere Kosten bei der sozialen Sicherheit.

Lösung von gesellschaftlichen Problemen
Weiterbildung kann mithelfen, gesellschaftliche Probleme zu lösen. Diese Möglichkeit wird leider im vorliegenden Gesetzesentwurf in keiner Art und Weise ergriffen. Dabei könnte mit einer kleinen Bestimmung und einem bescheidenen Budget der gesellschaftliche Wert des Weiterbildungsgesetzes massiv erhöht werden. Die Idee, dass Problemlösungen immer über Spezialgesetze angepackt werden sollen und daher im Weiterbildungsgesetz keine Fördertatbestände aufgeführt werden dürfen, schwächt die gesellschaftliche Handlungsfähigkeit. Nicht für alle gesellschaftlichen Probleme braucht es ein Spezialgesetz. Manchmal genügt eine Anschubfinanzierung über einen Projektfonds, um die Lösung gesellschaftlicher Probleme anzustossen. Solche Projekte sind zum Beispiel in der Seniorenbildung[1] denkbar, aber auch in der Elternbildung oder in der politischen Bildung.

Travail.Suisse erachtet es als absolut notwendig, dass das Weiterbildungsgesetz einen Projektfonds zur Lösung von gesellschaftlichen Problemen vorsieht. Ohne einen solchen Fonds von etwa 12 Millionen Franken pro Jahr vergibt sich die Schweiz eine grosse Chance, mit relativ geringen Mitteln, die Weiterbildung zu einem wichtigen Instrument der gesellschaftlichen Problemlösung zu machen.

Reform der berufsorientierten Weiterbildung
Travail.Suisse schlägt vor, dass parallel zur Diskussion des Weiterbildungsgesetzes auch die Artikel im Berufsbildungsgesetz zur berufsorientierten Weiterbildung (Art.30-32 BBG) reformiert werden. Um wichtige Fragen im Zusammenhang mit dem Wiedereinstieg, den älteren Arbeitnehmenden und der Nachholbildung lösen zu können, ist eine Reform absolut nötig.

Bruno Weber-Gobet, Leiter Bildungspolitik Travail.Suisse

 


[1] Beispiel: In Zukunft sind wir vielleicht darauf angewiesen, dass ehrenamtliche Senioren und Seniorinnen bei der Begleitung von Demenzkranken mithelfen. Ein Projektfonds im Weiterbildungsgesetz sollte ermöglichen, dass eine kompetente Organisation eine Anschubfinanzierung erhält, um ein Projekt aufzubauen, in deren Folge ehrenamtliche BegleiterInnen  ausgebildet werden können. Die Anschubfinanzierung umfasst z.B. die Finanzierung des Projektleiters in der Aufbauphase, die Erstellung der Bildungsunterlagen und die Ausbildung der ersten AusbildnerInnen, die vor Ort mit den Senioren und Seniorinnen arbeiten.